Burkhard Rosskothen: Wie kommst du auf die Themen der Arbeit, wie jetzt z. B. das Thema „Erbarmen“? Und wie kommen die Bilder zu ihrem jeweiligen Titel? Ich weiß ja, dass du täglich in der Bibel liest! Hast du da deine Lieblingssprüche?
Björn Hauschild: Die Themen entspringen dem Umgang mit den biblischen Inhalten. Ganz praktisch z. B. werden bei der Bibellese bestimmte Aussagen wichtig, auf die ich im Laufe der Monate immer wieder treffe. Oder auch anders: Ereignisse in meinem Leben werden mit Hilfe von Gottes Wort bewertet und verarbeitet. So ist eben auch in einer Phase der Erschöpfung das Erbarmen Gottes sehr wichtig für mich geworden. Die Arbeiten zu diesem Themenbereich zeigen unterschiedliche Aspekte: Vom Schrei des blinden Bettlers, der aus der Not und dem Druck heraus begreift, dass Jesus seine einzige Chance ist, und der nicht aufhört nach ihm zu rufen – über Jesus, den Erlöser und Erbarmer, der im Garten Gethsemane selbst Gott um Erbarmen anfleht – bis hin zur Erlösung im aufstrahlenden Lichte Gottes, das den zerschlagenen Menschen aufrichtet. Um die Titel zu finden, die die Werke letztendlich bekommen, nehme ich häufig die Konkordanz zur Hand. Hier suche ich Verse, die gefühlsmäßig bei mir den gleichen Klang erzeugen wie die Betrachtung des Bildes.
Rosskothen: Woher kommen Anregungen für die bildnerische Umsetzung? Musst du extra bestimmte Situationen und Orte aufsuchen oder kommen sie aus den Bereichen des täglichen Lebens?
Hauschild: Dies geschieht eigentlich immer aus dem täglichen Leben und Arbeiten heraus. Anregungen für die Formen der Arbeiten, die Strukturen und Farbgebung gibt es da jede Menge. Seien es interessante Steine im Garten, spannungsreiche Kompositionen von Rissen, Schlamm und zertretenen Pflanzenteilen auf dem Feldweg, die ich beim Joggen entdecke, oder eine Harmonie aus heruntergefallenen Sägeabfällen, Farbbrocken, Leimresten und Schleifstaub auf dem Atelierboden. All diese „Zufälle” laden dazu ein, gedanklich weiter zu komponieren und zu arrangieren und eventuell Skizzen und Aufzeichnungen zu machen. Irgendwann muss ich dann schließlich anhand einer auf ein Stück Papier gekritzelten Skizze eine Bildmontage anfertigen.
Rosskothen: Jetzt musst du erst einmal mehr handwerklich arbeiten, um eine Grundkonstruktion, einen tragfähigen Unterbau herzustellen. Wahrscheinlich fährst du ganz banal in einen Baumarkt und kaufst ein paar Latten…?
Hauschild: Genau, was ich nicht mehr an Material im Atelier habe, muss ich kaufen. Die Vorräte an alten Palettenhölzern und saugfähigen Fundstücken, die noch aus meiner Berliner Zeit stammen, sind mittlerweile verbraucht. Aber ich brauche auch Gips, Draht, Stoff, Sperrholz und Hartfaserplatten.
Rosskothen: Wann fängt denn die gestalterische Arbeit an?
Hauschild: Die Beschaffenheit des Unterbaus hat schon Auswirkungen auf die spätere Formgebung des Bildwerks. Sie bestimmt Umrisse und Wölbungen. Je weiter ich mich vom Unterbau nach oben arbeite, desto häufiger werden die gestalterischen Tätigkeiten. Die Hölzer, die Richtungen und Bewegungen festlegen sollen, werden häufig mit Beil und Keilen gespalten. Dabei ist es erwünscht, dass das Holz seinem Wuchs folgend entlang der Maserung aufreißt. So entstehen mehr oder weniger zufällig Formelemente von dynamischer Kraft, die oft nicht mehr mit Stecheisen, Beil und Säge weiterbearbeitet werden müssen. Wenn diese Hölzer arrangiert und mit den Sperrholzplatten, Hartfaserplatten oder Gipskonstruktionen verklebt und verschraubt sind, sind die großen Formelemente des Bildwerks fertig.
Rosskothen: Woraus besteht die Feinstruktur auf der Bildoberfläche? Einige Holzstückchen kann ich erkennen, aber bei vielen Teilen ist nicht zu sehen, was für ein Material das ist.
Hauschild: Die Oberflächenbearbeitung geschieht durch Einkleben und Schrauben von Stoff, Papier, Holzstückchen, Farbpaletten und Bröckchen, einer Art Recyclingprodukt aus getrockneter Farbmasse, die während des Malens aufgefangen wird. Übrigens sind auch die kleinen Holzsplitter „Abfallprodukte“ der Holzspaltung. Die Oberflächenstruktur herzustellen ist eine fast ganz und gar künstlerische Tätigkeit. Allerdings können auch Fehler, die bei der Grobform der Bildelemente gemacht werden, durch die Malerei und die Oberflächengestaltung nicht wieder ausgeglichen werden. Ist die Form zu plump und spannungsarm, kann ich mir anschließend die „Finger wund malen“, ohne dass das Bild zu retten wäre.
Rosskothen: Und was ist dann?
Hauschild: Im schlimmsten Fall muss ich die Montage beim Malen noch einmal zerschneiden und teilweise neu arrangieren. Das passiert aber extrem selten.
Rosskothen: Wie ist das nun mit dem Malen? Du malst ja nicht so, wie man sich das üblicherweise vorstellt, so mit Staffelei und Palette. Du legst deine Bilder beim Malen auf den Boden…
Hauschild: Ja, da ich häufig die Farben auf das Bild gieße, lege ich es in eine „Malwanne“, in der Farbe, Malmittel und Wasser aufgefangen werden. Nach der transparenten Grundierung werden die wichtigsten Farben des beabsichtigten Farbklangs angerührt und als Eitempera oder Ölfarben mehr oder weniger flüssig in Schalen und Eimern bereitgestellt.
Rosskothen: Wie fängst du an zu malen? Was ist das für ein Gefühl, die ersten Pinselstriche zu tun?
Hauschild: Die ersten Pinselstriche und Farbgebungen haben eher zerstörerische als bildnerische Qualität. Die bisherige, stimmige Oberflächengestaltung, die durch Arrangement, Form und Farbe der Materialien schon zu einer eigenen Bildwirklichkeit geworden war, wird darunter begraben. Diese ersten Farbaufträge sind selbst noch nicht sehr reizvoll. Sie legen im Groben die Farbverteilung fest und bestimmen, wo Öl und wo Tempera eingesetzt wird. Aber es wird ziemlich schnell spannend, wenn nach größeren Gießungen Farbflächen ineinandergezogen werden, Mischtöne, Farbverläufe, Abstoßreaktionen auf dem Bild zu sehen sind und sich laufend weiter verändern. Jetzt wird „erstes Leben“ sichtbar und ich muss kurz innehalten. Ich werde zum Beobachter.
Rosskothen: Es gibt also auch sehr ruhige Phasen?
Hauschild: Sogar sehr viele! Ich warte, bis das Bild einigermaßen „zur Ruhe gekommen ist“. Dann bewerte ich das Entstandene. Die Materialien der Oberfläche haben sich nun der Farbe untergeordnet. Es ist unwichtig, ob die entstandenen Zeichen aus Holz, Gips oder reiner Farbe sind. Entscheidend ist für mich die Emotion, die transportiert wird.
Rosskothen: Bei deiner Art von Malerei scheint der Zufall wichtig zu sein…
Hauschild: Enorm wichtig! Ich muss mich ständig entscheiden, ob das durch den Zufall Entstandene erhaltenswert ist oder nicht. Ich kann Farbverläufe aber auch steuern, indem ich das Bild an den entsprechenden Seiten anhebe. Ich arbeite mit Pinsel, Spachtel und den Fingern auf dem Bild, nehme kleine lokale Farbgebungen vor, mische meine Farben, streue Pigmente ein, schleudere Farbspritzer aufs Bild und lege Pinselspuren. Es folgt nun ein Wechsel von Zeiten des Machens, der sichtbaren Aktivität und Gestik, und Zeiten des Beobachtens, Bewertens, Abwartens und Erfühlens, der sich über viele Tage oder auch Wochen erstreckt. Immer wieder entstehen stimmige Kompositionen innerhalb des unfertigen Bildes, in die ich mich verliebe und die ich erhalten möchte. Ich versuche das Bild „drumherum“ ebenso gültig zu gestalten wie diese „wunderbaren Inseln“. Doch dies gelingt nie. Ich muss sie immer untergehen lassen zugunsten der angestrebten Gesamtharmonie des Bildes. Dies ist manchmal kaum auszuhalten. Ebenso wie die Tatsache, dass oft Bilder, die ich als „fast fertig“ im Atelier zurückließ, am nächsten Tag nach dem Antrocknen stumpf, leblos und langweilig geworden sind. Manchmal verderbe ich mir bei der Bearbeitung einer einzigen Stelle, die mir nicht gefällt, das gesamte Bild, so dass ich wieder von vorn beginnen muss.
Rosskothen: Dabei denkt man, wenn man deine Bilder sieht: „Der hat ja die absolute Freiheit, der kann mit großer Geste wild und kräftig drauflos gestalten.“
Hauschild: Meine Bilder sind nicht so leicht und spontan, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Ich sage immer, dass ich hier antrete, um etwas für Gott zu tun. So genügen mir keine Bilder, die irgendwie ganz nett, schön komponiert und ausstellungsfähig sind. Eine Arbeit ist dann beendet, wenn mir beim Betrachten der Atem stockt und ich für einen kurzen Moment eine Ahnung von Gottes Dimension bekomme. Dieses Unsagbare soll das Bild an den Betrachter weitergeben. Bis ich mit der Gestaltung in diese Nähe komme, habe ich meistens schon viele „brauchbare“ Bilder darunter begraben. Das Ganze ist ein zähes Ringen und ein großer Kampf, der durch Höhen und Tiefen führt, bis hin zur schieren Not, Verzweiflung und Hadern mit Gott. Mit ihm bleibe ich im Gespräch. Ich weiß und spüre, dass ich etwas erreichen will, wozu mir selbst die Kraft fehlt. So werde ich jedesmal zum Bittsteller, der die Hilfe und das Erbarmen Gottes nötig hat.
Rosskothen: Damit wären wir beim Thema „Erbarmen“ angekommen!
Hauschild: Stimmt! Das Erbarmen scheint, unabhängig von der besonderen Themenstellung für diesen Zyklus, bei allen meinen Arbeiten eine große Bedeutung zu haben.
(Das Gespräch führte Burkhard Rosskothen, kunstistrichtig.de)